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„Neues Deutschland“ am 1. Juli 2004 |
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Gedichte kämen aus der Untröstlichkeit, so sagt's der Dichter Paul Wiens. Oder sie sprießen aus dem Sand der Geschichte, der über Landschaften lagert. Sie entwickeln sich aus Silben- und Wortmaterial wie Röntgenbilder, auf denen das Skelett der Sprache hervortritt. Und manchmal, was eher als Entschuldigung gemeint ist, sind sie mit Herzblut geschrieben. Herzblut ist geflossen in den Liebesgedichten von Henry-Martin Klemt, und getröstet bewegen wir uns in einer Welt, in der das Du ganz selbstverständlich zum Ich gehört. Sehnsucht und Schmerz fließen in seinen Versen hinüber in Alltag, Familie, Nähe; als Bettszene zum Beispiel der nächtliche Kampf um einen Zipfel der Decke, der davor endete wie er danach begann (3. Sonett für Rita). Keine Angst, liebe Leser, der Dichter zieht uns nicht auf die schimmernde Oberfläche der Idylle. Bei ihm geht's handfest zur Sache, der Boden seiner Poesie vermag die Blume und Hochhäuser zu tragen, über ihn Furchen, Panzer und Pflugscharen, die Welt ist, wie sie ist, und sie lockt aufzubrechen in ihre Weiten. Beim Anblick der roten Zahlen auf dem Konto wie beim Schleppen von Sandsäcken gegen die Oderflut bleibt die Gewissheit: "Den Apfel haben wir im Paradies vergessen. / Ich habe nichts als deine Hand in meiner Hand."
Die Klemtschen Gedichte sind liedhaft, viele schon als Liedtext geschrieben. In dieser Auswahl treten sie in Korrespondenz zu außergewöhnlichen Aktfotos von Matthias Kapke. Die Menschen präsentieren sich hier nicht ausgezogen, sind nicht angelangt in der inzwischen gewöhnlichen "Sensation" der Nacktheit, dem Hochglanz des Körpers auf Hochglanzpapier. Bei Kapke hat man das Gefühl, Frau und Mann sind eben nur noch nicht angezogen, sie fügen sich in die Inszenierung des Fotografen in der Natur unaufdringlich und doch zugleich als "Fremdkörper" ein. Licht- und Schattenspiele werben den Blick des Betrachters zum Verweilen und Weiterwandern, erreichen beinahe plastische Effekte, "Hautkontakte" vor allem dort, wo das Detail zur eigenen Dimension wird. Text und Foto sind in Spannung und (oder) Harmonie zueinander, nicht nebeneinander gestellt. Sie drängen sich nicht wechselseitig Bedeutungen auf, sie bleiben das Eigene und stehen doch im Zusammenhang. Freilich, nicht jedes Gedicht muss dem Leser gefallen und jedes Bild auch nicht. Aber dieses Buch fügt seine Teile zu einem "Gesamtkunstwerk", hervorgehoben aus der Fülle illustrierter Literatur. Man mag seine Freude dran haben mit dem poetischen Appell: "Fallt, ihr Masken, fallt herab, / Kleider, sinkt zur Erde, / dass die Haut uns nicht zum Grab / unserer Liebe werde."
Mehr Informationen finden Sie in unserem Online-Katalog:
„Hautkontakte“
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